Eine Zeitlang stand ich dem Konzept des Tagebuch-Slams eher kritisch gegenüber – das eigene jugendliche Ich dem Gelächter des Publikums ausliefern? Sich mit allen Peinlichkeiten zu entblößen, damit andere darüber lachen können? Das Teenager-Selbst quasi verraten und ausliefern? Sich über sich selbst lustig machen?

Warum sind Confessional Comedy Formate wie Cringe Blogs, Podcasts oder Youtube-Videos voller Fail/Cringe/Awkward-Material eigentlich so faszinierend? Was ist so lustig an einer Cringe Reading Night, wo man einen Abend mit einer Gruppe Fremder verbringt, die aus ihren hormongetränkten Teenager-Tagebüchern vorlesen? Enthusiastische Beschreibungen wie „even better than therapy“, „strangely inclusive, cathartic and frequently hilarious“, heißt es in der Presse. Die Ankündigungen von Cringe Reading Nights wie z.B. in The Phoenix (London) lesen sich jedenfalls heldenhaft:

BRAVE FOLK READ ALOUD FROM THEIR (GENUINE!) TEENAGE DIARIES. Expect honest tales of terrible decisions, embarrassing crushes, first loves, shameful hair styles, puberty woes, family fall-outs and some classic, earnest teen angst. Just sit back and relax or, if you’re feeling brave, sign up to read and experience the cathartic effect of ridding yourself of years worth of shame in a wonderfully supportive, cozy basement. SHARE YOUR SHAME. 

Aber woher kommen diese Tagebuch-Slams eigentlich?
2001 fand die junge Autorin Sarah Brown ihre Teenager-Tagebücher im Haus ihrer Eltern in Oklahoma und entschied, die peinlichsten Exzerpte daraus in einem wöchentlichen Email an ihre Freunde zu schicken. Zwei Jahre später zog sie nach New York und brachte ihre WG-Mitbewohnerin dazu, ebenfalls aus Teenager-Tagebüchern vorzulesen. Die erste Cringe Reading Night fand am 6. April 2005 in Freddy’s Bar & Backroom in Brooklyn, New York statt. Seitdem hat sich der Cringe-Trend in den USA verbreitet und weiter in London und anderen europäischen Städten. In Wien gibt es den Tagebuch-Slam dank Diana Köhle seit 05.04.2013. Seit 09.08.2015 auch in den Bundesländern.

Diana Köhle, die Veranstalterin des Tagebuch-Slams in Österreich, gibt in ihrem Beitrag für „SchreibRÄUME“ einen Einblick , wie respektvoll sie mit den jüngeren Ichs der TeilnehmerInnen umgeht. Sie schreibt: „Das Schöne beim Tagebuch Slam ist: Wir lachen nicht übereinander, sondern miteinander. Ich empfehle den TeilnehmerInnen Stellen auszuwählen, bei denen sie über ihr damaliges Ich schmunzeln können. Sie sollten nichts vorlesen, wo sie das Gefühl haben, sie verraten ihr damaliges Ich. Es dürfen auch keine aktuellen Beiträge vorgelesen werden, sie müssen mindestens fünf Jahre alt sein, damit man ein wenig Abstand dazu hat.“

Also habe ich zugesagt, selbst bei einem Tagebuch-Slam aufzutreten – am 22. März 2020 in Wien – und aus meinen Tagebüchern von 1981 vorzulesen! (13 Jahre jung und stets sehr verliebt) Damit ich mich nicht vor meinem eigenen Wagemut fürchte, würde ich mich sehr über zahlreiches Fan-Publikum freuen! Herbei, herbei!

Der Tagebuch-Slam findet statt im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße), Gumpendorfer Straße 67, 1060 Wien. http://dastag.at/index.html

Autorin: Johanna Vedral
Foto: Covers von Sarah Browns Buch „Cringe“ und Diana Köhles Buch „Wir haben nämlich beide eine Zahnspange, aber er nur oben: Das Beste aus 4 Jahren Tagebuch Slam“

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