Ich konnte Dr. Birgit Schreiber, die Autorin von „Schreiben zur Selbsthilfe“ und Leiterin des ersten deutschsprachigen Lehrgangs zu „Journal Writing Therapy“ zu einem Gastbeitrag zum Thema „Wie wir pöbelnde, kritische und neidische Stimmen besser verkraften“ gewinnen. Voila:

Schreiben kann uns stark machen:

  1. wenn wir uns selbst wichtig nehmen. Etwa beim „Date mit uns selbst“ im eigenen Journal.
  2. wenn wir unserer eigene Perspektive ernst nehmen und ihr Gewicht verleihen: Schwarz auf Weiß.
  3. wenn wir uns anderen zeigen. Etwa im Blog, im Artikel, im Buch. 

Die Resonanz auf unsere Texte kann uns sehr zufrieden machen. Gelegentlich sogar stolz. Feedback kann uns zum Nach- und Weiterdenken bringen. Und dadurch wird unsere Stimme immer klarer und stärker.

Immer? Die Reaktionen auf unsere Worte – gesprochen oder geschrieben –  können uns in der Tat auch beschädigen. Oder uns gar zum Verstummen bringen. Im schlimmsten Fall.  Wäre mir beinahe passiert, neulich. Schuld waren die neuen Medien.

Ich hatte ein Interview für den Wiener Standard gegeben. Der Artikel war online veröffentlicht worden. Glücklich darüber, vielen Menschen das Schreiben als überall praktizierbare, kostengünstige Methode zu einem erfüllten und gesunden Leben vorstellen zu dürfen, las ich die Kommentare, die heute fast jeden online Artikel begleiten. Eine der ersten Rückmeldungen war diese:

„ich bin offensichtlich zu sehr kopfmensch, um den eventuellen nutzen des schreibens zu spüren. Ich hab wesentlich bessere möglichkeiten gefunden.“  Ein anderer nannte gleich eine Alternative: „kann ich bestätigen. alles was ich aufschreibe, vergesse ich sofort. fühle mich danach wirklich leichter. allerdings erziele ich die selbe wirkung mit alkohol und das macht eigentlich mehr spaß.“ Und schließlich tat jemand diese qualifizierte Meinung zum Thema Entlastung durch Schreiben kund:„Ach darum twittert Trump so wild in der Gegend herum.“ 

Ganz ehrlich – ich war bestürzt. Wie konnte man auf meine Worte so ignorant reagieren? Sie kamen doch von Herzen, aus tiefer Überzeugung und in der Absicht, andere mit Respekt und ja, Menschenliebe, auf einen kreativen Weg durchs Leben hinzuweisen?

Kolleginnen trösteten mich. Jutta schrieb: „Es ist erwiesen, dass sich meistens die ewig gleichen Pöbler zu Wort melden.“ Judith sagte: „Ich lese solche Kommentare schon gar nicht mehr. Es lohnt sich nicht.“

Gute und böse Worte – fördern oder vernichten

In der Poesietherapie spricht man von den „guten“ und den „bösen“ Worten, die Menschen fördern oder vernichten können. Ich hatte offensichtlich vor allem die „bösen“ gelesen, die „guten“ konnte ich erst nach und nach wahrnehmen.

Und wer von uns kennt sie nicht, diese oder ähnliche demotivierenden Kommentare – zum Beispiel aus der Schulzeit („Thema verfehlt“)? Oder die Sprüche der Eltern: Solange Du Deine Füße unter meinen Tisch stellst, hast Du Dich meiner Meinung zu fügen? Oder den Spott, wenn ein Unbefugter unser Tagebuch liest und sich über unsere Zeilen lustig macht?

Worte wie diese können dazu führen, dass wir unserer Stimme nicht mehr vertrauen. Dass wir sie zum Schweigen bringen. Dass wir unsere Meinung verstecken und mit unseren Perspektiven hinter dem Berg zu halten.  Dann werden Blog-Artikel nicht geschrieben, Vorträge nicht gehalten, Bücher nicht veröffentlicht.

Das Ringen um die eigene Stimme

Die Autorin Theo Nestor hat über das Ringen um die eigene Stimme – also eigentlich um ihr Selbst – ein ganzes Memoir geschrieben. Als Kind von Alkoholikern hat sie sich zeitlebens unsichtbar gemacht, zu tief saß die Erfahrung: Besser ich bin still, dann passieren keine schlimmen Dinge. Ganz wie ein Beutetier, das sich vor dem Raubtier schützt. Wenn Nestor früher Texte vorlas, fühlte sie sich etwa, „wie eine Schildkröte, der ihr Panzer abgerissen wurde“.

Es hat lange gedauert – länger als ein Memoir zu schreiben –  bis Nestor ihre ganz persönliche Stimme erheben konnte. Zunächst musste sie sich selbst für ihre Sprachlosigkeit verzeihen:. „I understand why the younger me did not speak up sooner and I forgive her for it. Forgiving her has become an essential part of uncovering my own voice. My „uncovery““. Es war für sie als Autorin überlebenswichtig.

Und das ist es für uns, die schreiben wollen, ebenso. Ohne eigene Stimme verlieren wir uns selbst. Wir hören uns nicht mehr, wir werden nicht gehört. Wir können nicht im Austausch mit anderen wachsen. Denn sie können uns nicht mehr als die erkennen, die wir wirklich sind.

Nur was tun, wenn die Angst vor der Veröffentlichung zu groß wird?

Wenn die Angst vor Kommentaren zu groß ist auch in Schreibgruppen, die nicht auf „friendly feedback “ setzen wie wir Kolleginnen im Writers Studio? Wenn die Angst vor unverständigen Literaturkritikern wächst, oder wir den Online-Pöblern entgehen möchten, die sich aufwerten, in dem sie andere verletzen.

Theo Nestor nennt keine einfache Lösung, sondern eine, die Mut und viel gegenseitige Unterstütung erfordert: „Our happiness, in fact, depends on our willingness to make ourselves vulnerable. … and in the connection to other people“.

Wir müssen das Wagnis einfach eingehen, uns anderen authentisch zu zeigen. Und manchmal eben einen Blow – eine (oder zwei oder drei) negative Reaktionen – einzustecken. Nicht überall auf der Welt gilt das Prinzip des „empowerment“. Gerade die deutsche Kultur honoriert scharfe, bissige Kommentare. Doch da müssen wir durch. Dabei können wir uns gegenseitig stützen, empowern.  Darum ist es wichtig, Vertrauen in uns und Standfestigkeit – nicht zu verwechseln mit Sturheit – zu entwickeln.

Ich habe die Kommentare zu meinem Interview mit dieser Stärkung noch mal gelesen und konnte nun auch die guten Worte darunter hören. Und ich konnte gelassen einem jener Kommentare – in Reaktion auf mein Porträtfoto – zustimmen, die mich vorher so befremdet hatten:

„Schreiben scheint vor allem jung zu halten“.

Stimmt genau, vor allem jung im Kopf! Und das wünsche ich uns allen sowie allen LeserInnen meines Interviews, inklusive den KommentarschreiberInnen.

Autorin: Birgit Schreiber
Foto: Birgit Schreiber
Zum Nachlesen – das Interview mit Birgit Schreiber im Standard

 

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