Als Lehrende im Fach „Wissenschaftliches Arbeiten & Wissenschaftliches Schreiben“ sehe ich meine Aufgabe nicht nur darin, grundlegende Skills wie Recherchieren, Lesen, Peer Feedback, Zitieren und Paraphrasieren sowie Schreibtechniken zu vermitteln. Eine wichtige Schreibtechnik ist das Schreibdenken, das schreibende Nachdenken, das in Freewritings am Anfang der Lehrveranstaltung, im wissenschaftlichen Journal oder zwischendurch auf Notizzetteln stattfindet. So üben Studierende nicht nur, eine eigene selbstbewusste Schreibstimme zu entwickeln, sondern auch kritisches Denken, sich eigene Gedanken zu den vielen Texten machen, die im Studium gelesen werden (müssen), statt diese einfach nur unhinterfragt zu paraphrasieren.

Wie kann ich aber kritisches Denken unterrichten? Das ist in Gesprächen mit KollegInnen immer ein spannendes Thema. Kritisches Denken beginnt beim Lesen. Mir ist wichtig, dass die Studierenden beim Lesen von Texten stets auch die Haltung der AutorIn reflektieren und analysieren, wie die AutorIn die Gedanken anderer AutorInnen wiedergibt. Zu dieser Reflexion rege ich schriftlich im wissenschaftlichen Journal an wie auch bei Prüfungen. Das kritische Lesen kann so die Basis für kritisches Schreibdenken werden. Bei Studierenden im ersten Studienjahr erwarte ich allerdings noch nicht mehr als erste zarte Ansätze kritischen Denkens. Finde ich Ansätze kritischen Denkens in einer Proseminararbeit, bedeutet dies aber sehr wohl Pluspunkte und somit eine bessere Note.

Ich habe auch Andrea Klein gefragt, die mir freundlicherweise für ein längeres Gespräch zur Verfügung stand, wie sie ihre Studierenden ermutigt, kritisch zu denken:

„Kritisches Denken unterrichten empfinde ich im heutigen Kontext als sehr, sehr schwierig. Die Auswirkungen der Bologna-Reformen wurden schon vielfach thematisiert, das möchte ich hier nicht ausführlich tun. Nur so viel: Das Verschulte an unserem Hochschulsystem fördert nicht gerade die tiefe Auseinandersetzung. Sie ist natürlich weiterhin möglich, aber sie erscheint oft nicht unbedingt gewollt.

Zudem möchten viele Studierende „alles richtig machen“ und suchen einen möglichst glatten Weg zum Abschluss. Sie versuchen, schnell zu erfassen, welche Inhalte von ihnen verlangt werden und lernen diese dann für die Klausuren auswendig. Das ist das Gegenteil von kritischem Denken. Hier müssen sich jedoch die Lehrenden fragen, inwieweit sie einer solchen Haltung auch Vorschub leisten, sei es durch die Art der Vermittlung, sei es durch die Art der Klausurfragen.

In den wissenschaftlichen Arbeiten sehe ich auch viel Beschreibung statt Analyse, gerade in den ersten Semestern. Was in der Literatur steht, nehmen viele Studierende als gegeben hin, weil das ja Autoritäten geschrieben haben, da ist zu viel „believing game“ und zu wenig „doubting game“, frei nach dem Motto: „Das steht da schwarz auf weiß, und das hat ein Professor geschrieben, also wird es wahr sein.“ Sie stellen solche Inhalte dann auch reihenweise für ihre Arbeit zusammen, obwohl sie sie eigentlich nicht für realitätsnah halten. Das erfahre ich in den Gesprächen mit den Studierenden. Sie denken allerdings trotzdem, dass sie das so machen müssen. Im Laufe der Semester verstehen sie erst wirklich, wie Wissenschaft zu neuem Wissen kommt und dass sie selbst ein Teil dieses Systems sind oder werden könnten.

Mit der Benotung ist das so eine Sache. Irgendwie muss man ja das, was aus der Beratung kommt, von dem trennen, was die Studierenden selbst erarbeitet haben. Das empfinde ich als echte Herausforderung, den Arbeiten im Gespräch mit den Studierenden nicht zu sehr meinen Stempel aufzudrücken, sondern wirklich nur Impulse zu setzen. Diese Ratlosigkeit müssen sie dann erst einmal aushalten und selbst Ideen generieren.“

Mehr dazu in Andrea Kleins Blogbeitrag: „Die drei wichtigsten Aha-Erlebnisse, die ich den Studierenden wünsche

3 Kommentare
  1. benjaminbombac sagte:

    Ich sehe das ähnlich wie Frau Klein. Bolonga hat alle Kanten abgeschnitten. Man kratzt nur an der Oberfläche – sowohl in Mikroebene in einem Fach, also auch auf das ganze Studium gesehen.
    Wissenschaftliches Arbeiten, als Fach, war für mich immer Google Books indirekt zu zitieren, kein Plagieren und Hauptsache das Format und die Seitenzahl einhalten. Langweilig, unflexibel, unkreativ – wie das Ganze Bachelor-Master-System. Ich höre noch meine Dozenten schwärmen wie sie im Stuhlkreis saßen und diskutieren. Das wurde noch Wissen produziert und nicht nur reproduziert…

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      • benjaminbombac sagte:

        Dann würde ich sagen, alles richtig gemacht. Vielleicht kommt dem Fach nochmal eine Revision zu, denn ich denke, eines der Ziele des Studiums sollte die Vermittlung von kritischen Gedanken, nicht nur des eigenen Studienfachs, sondern auch Allgemein sein und dies lässt sich sehr gut mit Wissenschaftlichen Arbeiten kombinieren. Viel Kraft! Lass dich nicht unterkriegen 🙂

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