Johanna Vedral: Wie aus unglücklichen Kindern glückliche Erwachsene werden

Under the surface

Ist eine schwere Kindheit unbedingt Voraussetzung für Probleme im Erwachsenenalter oder kann ein Mensch trotz allem sein Leben erfolgreich gestalten?

„Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben“, so der Titel des Buches des finnischen Psychiaters Ben Furmann, in dem Betroffene von ihrer schwierigen Kindheit erzählen und wie sie trotzdem oder gerade deshalb ein gelungenes Leben als Erwachsene führen konnten.

Das Kind – ein zerbrechliches Wesen?

Ben Furmann demontiert mit seinem Buch den in der westlichen Kultur vorherrschenden Glauben, dass traumatische Kindheitserlebnisse einen Menschen für immer schädigen. In der westlichen Psychologie werde das Kind als ein zerbrechliches Wesen beschrieben, das schon sehr früh irreparabel verletzt werden könne. Der Mensch sei aber vielmehr ein Wesen, das prinzipiell alles überstehen könne. „Beim Lesen entwicklungspsychologischer Literatur kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ein Kind eine ideale Mutter, einen immer anwesenden Vater und mindestens eine Schwester oder einen Bruder haben muss, um sich geistig zu einem gesunden Individuum entwickeln zu können“, sagt Furmann.

Schützende Faktoren

Ben Furmann fasst eine Fülle sogenannter schützender Faktoren zusammen, die es Kindern ermöglichen, schwierige oder traumatische Kindheiten gut zu überleben und so später glückliche Erwachsene zu werden:

  • eine gute Beziehung zu einem wohlwollenden Menschen – es muss nicht die Mutter sein!
  • Haustiere
  • ein Versteck in der Natur
  • Fantasiewelten wie Schreiben und Lesen
  • Gute Leistungen in der Schule oder auf künstlerischem/ handwerklichem Gebiet
  • Humor
  • Stolz, klug in schwierigen Situationen gehandelt zu haben
  • Charaktereigenschaften wie Willensstärke, Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit

Die eigene Geschichte neu schreiben

„Unsere Vergangenheit ist eine Geschichte, die wir uns in vielen verschiedenen Weisen erzählen können. Wenn wir mehr Aufmerksamkeit auf die Mittel richten, durch die wir unsere schwierigen Erlebnisse bewältigt haben, können wir anfangen, uns selbst zu achten und an die schlimmen Ereignisse in der Kindheit eher mit Stolz als mit Bedauern zurückzudenken“, sagt Furmann.

Memoir schreiben ist eine Möglichkeit, unsere Vergangenheit neu zu schreiben, statt eines Blicks zurück in Zorn einen Blick zurück in Stolz zu wagen und mit anderen zu teilen, wie wir es geschafft haben, trotz einer schwierigen Kindheit glücklich zu werden.

Johanna Vedral

Zum Weiterlesen:

– Furmann, Ben: Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben. borgmann publishing, Dortmund, 2013
– Jule Specht schreibt im Psychologie Heute Blog: Über die Illusion, das Gute im Schlechten zu finden.
– Birgit Schreiber schreibt differenziert über Schreiben als lebensverbesserndes heilsames Mittel, das aber auch schaden kann: Schreiben entlastet die Seele. In Psychologie heute
– „Ein Stück vom Glück“, Blogbeitrag von Philipp über die Bedeutung von Resilienz im Alltag mit Kindern

Bildquelle: Under the surface, Aquarellzeichnung von Johanna Vedral

10 Kommentare
  1. bschreiberin sagte:

    Hat dies auf bremerschreibstudio rebloggt und kommentierte:
    „Wir wir zu Helden, Heldinnen unserer eigenen Geschichte werden“ – das war der Titel eines Memoir-Seminars, das ich kürzlich auf Wangerooge gegeben habe. Ich war ambivalent, was den Titel angeht: Müssen wir immer gleich Helden sein? Gibt es nicht schon genug Selbstüberschätzung in unserer Welt? Und doch: Der Titel blieb. Der heutige Blogbeitrag von Psychologin und Autorin Johanna Vedral bestärkt mich in der Titel-Wahl für das Seminar. Vedral erklärt: Menschen, die traumatisiert sind, benötigen besonderen Mut und Stärken um Weiterleben zu können.
    Diese Stärken können sie etwa beim Schreiben wieder entdecken. Dabei stoßen sie natürlich auch noch einmal auf ihre Wunden – und das allein erfordert schon Held*innenmut. Vielen Dank Johanna!

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  2. aboyandhistree sagte:

    Hallo Johanna, genau das Buch trage ich seid Wochen in meinem Taschenbegleiter mit mir herum. Ein Buch das gelesen werden sollte. Resilenz ist das Stichwort meiner täglichen Arbeit. Nicht nur mit Kindern diese Fähigkeiten zu entwickeln sondern auch deren Eltern anzuhalten eigene Faktoren zu finden kann eine spannende Reise sein. Schreiben kann dann ein gutes Mosaiksteinchen sein.

    Unerzogene Grüße.

    P.

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    • Johanna Vedral sagte:

      Lieber P., Ben Furmanns Buch ist wirklich hilfreich und erfrischend praxisbezogen. Theorien zu Posttraumatic Growth, Resilienz etc. wirst du drin nicht finden. Würde mich sehr freuen, mal von dir zu lesen, wie du in deiner täglichen Arbeit mit Kindern/Eltern auf die Suche nach schützenden Faktoren gehst… „Worauf bist du stolz…?“ ist sicher eine Schlüsselfrage 🙂 Alles Liebe, Johanna

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  3. simplyilka sagte:

    Hallo Johanna! Ich habe mich schon oft gefragt weshalb manche Kinder mit schwerer Kindheit problematisch werden und andere wiederum sich sehr positiv entwickeln. Das Buch ist ein Steinchen zur Antwort. Danke!

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