eyes-wide-openIm Zuge meines ersten Memoirs, das ich in den nächsten Wochen abschließen und in die (Verlags-) Welt hinaus schicken möchte, habe ich meine Kindheitserinnerungen mit Fokus auf mein siebzehntes Lebensjahr neu kontextualisiert und in eine lesbare Form gebracht. Dabei habe ich einiges über das Erinnern gelernt, diese „zigzag-nature of how our mind works“ (Natalie Goldberg), die mäandernden Spuren der Erinnerung, die ich als Schreibende aufgreife, forme und neu arrangiere. Ich bin mir aber noch immer nicht sicher, ob ich das Buch als „Roman“ oder als Memoir veröffentlichen soll.

Die meisten LeserInnen sind neugierig, ob die Autorin eines Buches eigene Erlebnisse fiktionalisiert oder ob sie alles frei erfunden hat. Wann setzt diese Lese-Haltung, dieser Verdacht, der autobiographisierende Lesezwang ein?

Meist erzeugt das im Leser den Verdacht, dass es sich „nur“ um persönliche Erinnerungen handelt, also nicht um „Literatur“, wenn der Autor seinen Text sprachlich nicht überarbeitet hat. Im deutschen Sprachraum werden persönliche Erinnerungen und wahre Geschichten gerne gelesen, aber gelten noch nicht als „Literatur“. Anders sieht es im englischsprachigen Raum aus, in der die Textsorte Memoir seit einigen Jahren boomt und sogar beliebter geworden ist als Romane.

Beim Schreiben von autobiographischen Texten wie in den Feedbackrunden von Memoir-Schreibgruppen  stellt sich dabei immer wieder die Frage: Wann wird ein autobiographisch gefärbter Text für die Leser interessant?

Wenn den Gefühlen in dem Text „auf eine Art und Weise nachgespürt wird, dass sie zu einer Erkenntnis über die menschliche Seele führen“, sagt Anna Mitgutsch. Denn beim (autobiographischen) Schreiben geht es nicht vorrangig ums Erinnern, sondern um das „Deuten und Erkennen der Bedeutung von Erfahrung“. Die erlebte Wirklichkeit ist dabei nur das Rohmaterial der Autorin, die beim Schreiben mit Masken und Identitäten spielt und ihre eigene „narrative Wahrheit“ erzeugt.[1]

Für mich ist ein Memoir interessant, wenn ich von der Autorin mitgenommen werde auf eine Reise durch ein anderes Leben, in dem ich immer wieder spüre. „Ja, das kenne ich auch!“ Wenn ich lesen kann, wie die Autorin mit ihren schwierigen Erlebnissen umgegangen ist und wie sie daran wachsen konnte.

Warum liest du gerne wahre Geschichten?

[1] [1] Mitgutsch, Anna (1999). Erinnern und Erfinden. Grazer Poetikvorlesungen. Graz: Droschl Verlag

Autorin: Johanna Vedral
Bildquelle: „Eyes wide open“ von Johanna Vedral, Acrylfarben auf Karton

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