Collage Johanna Vedral

Ein wichtiger Lernprozess beim Memoir-Schreiben ist, nicht beim ersten Aufschreiben von Erlebtem stehen zu bleiben. Nicht nur die Erinnerungen niederzuschreiben und sie dann so stehen zu lassen. Nicht nur Licht in bislang dunkle Räume in unserer Psyche zu werfen, sondern mit diesen Räumen vertraut zu werden, um schließlich weiter zu gehen, weiter zu forschen. Das braucht Geduld.

In den USA, wo gerade die „misery memoirs“ am populärsten sind, wird mittlerweile auch kritisch reflektiert, dass viele Schreiber/innen dieser Memoirs ihre schrecklichen Erlebnisse noch nicht genug durchgearbeitet haben: „Memoir writing is not the trauma-olympics“, bringt Brooke Warner es auf den Punkt.

Wie kann das aussehen, dieses Durcharbeiten von Erinnerungen? Indem ich mich daran mache, den first draft, den Rohtext hinzuschreiben. Mich traue, in Erinnerungen einzutauchen und sie so schreibend wieder zu erleben, in einem Tempo, das mir guttut. Und mit einer wohlwollenden, versöhnlichen Haltung meinem jüngeren Ich gegenüber. Hier ist intensive Selbst-Heilungs-Arbeit möglich.

Große Fragen an mein Leben brauchen Zeit und einen liebevollen, vielleicht auch erbarmungsvollen Blick zurück, im Tagebuch oder in Memoir-Freewritings im geschützten Rahmen einer Gruppe:

  • Wie viel Verborgenes, Verstummtes, Unsichtbares mache ich auf Papier sichtbar?
  • Wie viel von der rohen, der oft schmerzhaften Wahrheit erlaube ich mir, aufzuschreiben?
  • Was ist meine ureigene Wahrheit, meine Erinnerung, mein Geheimnis?
  • Erlaube ich mir, mein Memoir nur für mich zu schreiben, nur für meine Heilung? Erlaube ich mir, mich ganz auf diesen Schreibprozess einzulassen?

Vieles darf einfach so stehenbleiben, in unseren ganz privaten Notizbüchern. Das erste Aufschreiben ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Heilung, um die innere Stille, das Schweigen zu brechen.

Dann kommt eine neue Schwelle: das Überarbeiten. Neue Fragen tauchen auf:

  • Reicht es mir, dass ich diesen schrecklichen Tiefseefisch ans Tageslicht gebracht habe? Mich mit diesem Schmerz konfrontiert habe? War es genug für mich, all das Entsetzliche noch einmal durchlebt zu haben, indem ich es aufgeschrieben habe? Kann das nicht einfach so stehen bleiben, wie es ist?
  • Möchte ich mein Memoir jetzt wirklich noch einmal in die Hand nehmen und überarbeiten? Etwas daraus machen? Es verwandeln?
  • Mit wem möchte ich mein Memoir teilen?
  • Ist es nur für mich? Lese ich  es in der Schreibgruppe vor? Oder veranstalte ich eine Lesung? Im intimen Kreis? Dürfen Freund/innen mein Memoir lesen? Oder möchte ich es veröffentlichen, dass es jede/r lesen kann?

Du bist noch mittendrin im Schreiben? Bleib dran! Forsche mutig weiter, z.B. mit Natalie Goldbergs Anregung: Ich erinnere mich…

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