Ich freue mich über den Gastbeitrag meiner Kollegin Nadine Mittempergher, in dem sie uns Einblicke in ihren Kampf mit einer Geschichte gibt. Mich fasziniert, wie sie eine neue Perspektive fürs Wiederaufnehmen der Beziehung zu selbst geschaffenen literarischen Figuren findet:

Liebe Figuren, sorry.

Vor zwei Jahren habe ich begonnen, eine Geschichte zu schreiben. Ich weiß nicht mehr genau wie es anfing, aber die Figuren waren plötzlich da und hatten sich verselbstständigt. Ein Krimi sollte es werden. Erstens weil ich Krimis liebe, zweitens, weil ich schon immer einen schreiben wollte. Außerdem verhielten sich die Figuren schon von Anfang an sehr mysteriös und alles deutete auf ein Verbrechen hin.

Schreibfieber deluxe!

Damals, als ich mit der Geschichte begonnen habe, war ich mit meinem Job zwei Wochen in Marokko, wo ich zwei junge JournalistInnen betreut habe. Das gemeinsame Schreiben haben wir zu unserer täglichen Routine gemacht und manchmal habe ich ihnen am Abend vorgelesen, was ich tagsüber geschrieben hatte. Es motivierte mich, dass sie immer wieder wissen wollten, wie es weiter ging – ich war ja selber darauf gespannt. Die Geschichte war nicht vorgeplant oder überlegt, sie war scheinbar in meinem Kopf und musste raus, wollte aufs Papier. Es sprudelte und floss mehrere Wochen ohne Unterbrechung dahin, der Flow hatte mich infiziert und ich fühlte mich high, jeden Tag aufs Neue gespannt, was die Figuren wohl als nächstes machen würden. Meine Hand glitt über das Papier und manchmal musste ich darüber lachen, was meine geliebte Hauptfigur Carmen – eine sehr launische Person – schon wieder angestellt hatte. Schnell war das erste Heft gefüllt, bald folgte das zweite.

Fallhöhe: Sehr hoch.

Als die Reise vorbei war, hielt das Hoch noch ein zwei Wochen an, dann kam plötzlich der Absturz. Es war wie Nüchtern werden, nach einem wochenlangen Rausch. Irgendwie war ich nicht mehr motiviert, mir viel nichts mehr ein und ich hatte auch gar keine Lust mehr. Bald darauf hörte ich dann komplett auf, an der Geschichte weiter zu schreiben. Andere Dinge wurden wichtiger und die zwei Hefte landeten irgendwo ganz unten in meinem Bücherregal. Ein paar Mal habe ich es noch probiert, aber irgendwie hatte ich die Connection verloren, die Figuren sprachen nicht mehr mit mir. Im Nachhinein denke ich: Kein Wunder, hatte ich sie doch so brutal fallen lassen. Wie soll ich jemals wieder einen Draht zu ihnen und ihren Abenteuern finden? Irgendwas in mir sagte mir immer wieder: Setz dich hin und schreib weiter. Dann saß ich da und starrte aufs Blatt, las durch, was ich bisher geschrieben hatte, fand das gar nicht so schlecht und warte auf den Flow, aber er kam nicht. Eh klar.

Mein geliebter Schweinehund

Was hatten nochmal ausnahmslos alle AutorInnen fast gebetsartig gesagt oder geschrieben? Schreiben ist harte Arbeit. Der Flow muss erarbeitet werden, er kommt nicht einfach so. Ja ok, weiß ich. Aber mein geliebter Schweinehund (ja, ich mag meinen Schweinehund und es beruht auf Gegenseitigkeit) wollte mich wieder mal in Watte packen und mir das Leben versüßen, indem er mich vor harter Arbeit schützen wollte. Und hat mir dabei tausend angenehmere Dinge vor die Nase gesetzt: Schlafen, Essen, Pausen machen, Kaffe, kürzere Sachen schreiben, „nonsens“ Schreiben, Artikel schreiben, Gefühle, reden, zuhören, Musik hören, gar nicht schreiben, ganz oft noch Kaffe und so weiter und so fort. Die Geschichte verschwand irgendwo in meinem Hinterkopf und damit auch das unangenehme Gefühl, meine Figuren irgendwie in Stich gelassen zu haben.

Lange habe ich es aufgeschoben, weil ich nicht wusste, was ich tun kann und ob ich es vielleicht doch bleiben lassen soll. Doch irgendwie liegen diese zwei Hefte seit zwei Jahren (!!!) ganz präsent auf meinem Tisch, immer rutschen sie in meine Reisetasche oder meinem Rucksack. Wie letzte Woche, als ich mit meinem Hund Maxi wandern war. Als ich was zum Trinken rausholen wollte, streifte mein Blick wieder eines der Hefte und ich dachte mir genug ist genug, jetzt muss es endlich weiter gehen. Aber was sollte ich tun?

Wollen wir wieder Freunde sein?

Ich dachte länger darüber nach, wie es zur jetzigen Situation gekommen war und kam zum Schluss, dass ich die Figuren und die Geschichte selbst nicht besonders gut behandelt hatte. Nur im High hatte ich sie beachtet, als dann der Teil mit der harten Arbeit kam, habe ich sie einfach fallen lassen. Puh, das war ein unangenehmer Gedanke, weil, wer will schon so jemand sein, der andere fallen lässt wenn`s hart auf hart kommt. Ja, wir sprechen hier immer noch von fiktiven Figuren, aber wenn ich wirklich authentisch über sie schreiben will, sollte ich sie schließlich ernst nehmen, oder? Nach einer kurzen Analyse der Situation beschloss ich, mich bei den Figuren zu entschuldigen. Klingt vielleicht absurd, aber glaub mir, ich habe, was schreiben betrifft, noch viel absurdere Dinge gemacht, die funktioniert haben.

Also setzte ich mich hin und schrieb einen Brief, der damit begann: „Liebe Carmen, Lieber Josef, Liebe Carolina, Lieber Walter, Lieber Pancho, sorry…“. Es hat sich gut angefühlt, die Zeilen zu schreiben und auch meine Ängste auszudrücken, nicht gut genug zu schreiben. Endlich war es raus, und ich hatte einen ersten Schritt gemacht. Schritt zwei war dann die Anmeldung für zwei Schreibkurse, die ich bald besuchen werde und wenn ich Glück habe, sind die Figuren nicht allzu nachtragend und ich darf wieder in ihrem Namen schreiben. Diesmal klappt es bestimmt zwischen uns.

Autorin: Nadine Mittempergher, http://www.manopluma.com/
Bildquelle: https://www.flickr.com/photos/doctorow/8369370653

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