Ich liebe Geschichten über SchriftstellerInnen. Margaret Atwood, Jahrgang 1939, weiß einige Geschichten über alt gewordene schrullige SchriftstellerInnen zu erzählen. Die erste Erzählung in „Die steinerne Matratze“ ist so eine Geschichte und hat mich von der ersten Zeile an in ihren Bann gezogen:
„Der Eisregen rieselt herab, händweise leuchtender Reis, den irgendein unsichtbar Feiernder wirft.“ Wow!
Es geht um eine betagte Schriftstellerin, die zwischen ihren Einkaufsexpeditionen durch die vereisten Straßen mit ihrem bereits verstorbenen Ehemann spricht und in ihren Erinnerungen spazierengeht oder in die von ihr geschaffene Fantasy-Welt Alphinland verschwindet. In Alphinland hat sie auch einen Liebhaber aus jungen Jahren und die Frau, die ihn ihr ausgespannt hat, in Geschichten gebannt. In ihrer erfolgreichen Fantasy-Serie formt sie ihre Erinnerungen zu Geschichten um:
„Das Gute an Alphinland ist, dass sie alles Verstörende aus ihrer Vergangenheit durch das steinerne Tor (auf ihrem Bildschirmschoner) bewegen und im Gedächtnispalast speichern kann (…) und wenn man den Wunsch nach Erinnerung hat, betritt man den jeweils entsprechenden Raum.“
Eine freudige Überraschung in Margaret Atwoods Erzählungsband ist, dass in der zweiten und dritten Geschichte der Liebhaber aus jungen Jahren aus „Alphinland“, nun selbst ein grantiger tattriger Alter oder auch andere Charaktere auftauchen! Köstlich!!!
Meine Top Favourite Story ist aber „Die tote Hand liebt dich“, ebenfalls eine Schriftsteller-Geschichte, in diesem Fall ist es ein in die Jahre gekommener Horrorromanschreiber, dessen erster Roman sein Leben geprägt hat. „Fackelt die Alten ab“, die letzte Erzählung, ist der Höhepunkt dieses umwerfend komischen, bissigen Buches, Lesevergnügen pur, in dem Erinnertes, Erfundenes und Fabuliertes von einer erfahrenen Meisterin ihres Faches meisterlich miteinander verwoben werden.
Und es bereitet nicht nur Freude beim Lesen, sondern macht Lust, sich selbst schreibend im Spannungsfeld zwischen Dichtung und Wahrheit zu bewegen und aus Erinnerungen und realen Begegnungen mit Menschen skurrile, bösartige und komische Geschichten zu schaffen! Zum Beispiel mit dem Rezept des Schauspielers Matthias Brandt, der seine autobiographischen Geschichten über seine Kindheit in den 1970er Jahren wie folgt einleitet:
„Alles, was ich erzähle, ist erfunden. Einiges davon habe ich erlebt.“
Autorin: Johanna Vedral
Lesetipps:
Atwood, Margaret (2016): Die steinerne Matratze. 9 Erzählungen. Berlin Verlag
Brandt, Matthias (2016). Raumpatrouille. Geschichten. Kiepenheuer & Witsch
Hat dies auf bremerschreibstudio rebloggt und kommentierte:
Wenn Johanna Vedral aus Wien zu Besuch nach Bremen kommt, dreht sich unser Ideen-Karusell: Ideen für Schreibseminare und -urlaube werden geschmiedet, es wird geschrieben, geredet, kaffeesiert (für die Nicht-Bremer: das ist gediegenes Kaffeetrinken und Kuchenessen) und Büchertipps werden getauscht. Besonders angetan hat es Johanna ein Buch von Margaret Atwood, das ich gerade neu gekauft und begonnen hatte. Jetzt – nach Johannas Blog – kann ich es kaum erwarten, den Rest zu lesen. Hier erfahrt Ihr, warum …