Seit ich mich verpflichtet habe, immer mehr täglich zu schreiben, fahre ich gern mit der U-Bahn oder mit dem Zug. Waren das früher lästige Zeiten, in denen das unangenehme Gefühl vorherrschte, mit zu vielen Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht zu sein, sind es jetzt ganz besondere Zeiteinheiten, in denen ich einen ganz besonderen flow erlebe. Ich fahre voran und gleichzeitig fließt das Schreiben so gut, dass es mir immer wieder passiert, dass ich erst im letzten Moment bemerke, dass ich jetzt sofort raushüpfen muss, um nicht meine Station zu verpassen.

„Stört es dich denn nicht, dass jemand mitlesen könnte, wenn du so öffentlich schreibst?“ fragt eine Freundin, der ich von der Bahn als Schreibraum vorschwärme. Nein, es ist mir ziemlich egal, ob da jemand ein paar Zeilen mitliest. In den meisten Fällen werde ich den Menschen, der in der U-Bahn neben mir sitzt, nie wieder sehen. Vielleicht kann ich ihn ja inspirieren, mit einem Satz, den er aufschnappt oder einfach mit meiner im Schreibflow versunkenen Präsenz.

Was ist so besonders an diesen Orten des Unterwegsseins, diesen Schwellenräumen, diesen In-Between-Zonen? Laut Walter Benjamin leiten sie „in einen kategorial anderen Raum oder in eine neue Zeit [über].“[1] Genau dieses Empfinden macht für mich flow aus. So wird die Bahn zum Schreibraum, zum Schwellenraum, zum Ort des Übergangs und der Verwandlung.

[1] Menninghaus, Winfried: Schwellenkunde. Walter Benjamins Passage des Mythos. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986. S.56.

Autorin: Johanna Vedral


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