Julia Pfligl (Kurier) hat mir für ihren Artikel „Die vergessene Schönheit der Brieffreundschaft“ einige Fragen gestellt, die mich zum Nachdenken gebracht haben.

Warum erlebt Brieffreundschaft dzt. ein Comeback?

Wie uns Social Distancing schmerzhaft spürbar macht – wir Menschen sind soziale Wesen und unser Hunger nach Austausch ist genauso groß wie unser Hunger nach Berührung. Wir brauchen Korrespondenz mit anderen wie die Luft zum Atmen. Wir brauchen Spiegelung und Resonanz mit anderen, um unsere Identität formen zu können – und das nicht nur online.

Jetzt, wo (fast) alles online ist, macht sich mehr und mehr eine Sehnsucht nach dem analogen Leben breit. Das Analoge erscheint uns so viel kostbarer als das oft beliebige Digitale.

Die Rückkehr zur Brieffreundschaft drückt ein Bedürfnis nach etwas Besonderem aus. Wir schreiben Briefe (Unikate und keine Rundmails oder facebook-posts) an besondere Menschen und drücken damit Zuneigung und Wertschätzung aus. Wir schenken diesen Menschen das Kostbarste, das es in einer immer stärker beschleunigten Welt gibt: Zeit. 

Was ist das Besondere an einer Brieffreundschaft?

Eine Brieffreundschaft im klassischen Sinne verbindet zwei Menschen wie bei einem Blind Date – wir lernen einander nur über unsere Briefe kennen. Eine Brieffreundschaft setzt die Lust an der Sprache, am Schreiben, an der Selbstreflexion voraus. Bei einer Brieffreundschaft geht es nicht darum, ob der Brieffreund ein potenzieller Partner für uns ist. Es ist also egal, ob wir ihn körperlich attraktiv finden. Es ist eine Freundschaft, in der die geistige Auseinandersetzung im Vordergrund steht oder die gemeinsame Leidenschaft und/ oder Expertise für ein Thema. Da nur die Sprache, die Worte auf Papier uns verbinden, fällt die gesamte nonverbale Ebene der Kommunikation weg, die bei Begegnungen von Angesicht zu Angesicht den Großteil der Kommunikation ausmacht. Wir sind also herausgefordert, unseren  schriftlichen Ausdruck weiter zu entwickeln, zu verfeinern, unsere Gedanken auszuformulieren – z.B. wie vermittle ich ein Zwinkern, einen ironischen Unterton, Begeisterung – ohne meine Mimik oder Emojis? Wie kann ich Bilder im Kopf meines Brieffreundes erzeugen? Welche interessanten Fragen kann ich ihm stellen?

Was unterscheidet einen handschriftlichen Brief von Emails oder WhatsAppNachrichten?

Ein Brief hat eine ganz andere Qualität hat als ein Email oder Whatsapp, denn da gibt es nicht nur den Bildschirm und die Tastatur, sondern das Briefpapier, den Briefumschlag, den Stift, „ein langsameres Summen des Gehirns und den Gebrauch unserer ganzen Hand und nicht nur unserer Fingerspitzen“ (Simon Garfield).

Die neue Lust am Briefeschreiben hat mit einer Sehnsucht nach Entschleunigung zu tun und oft auch mit Nostalgie (Stichwort: „I want my pre-internet-brain back“, Douglas Coupland). Mit der Hand zu schreiben, entschleunigt. Die meisten von uns tippen schneller, als sie mit der Hand schreiben.

Aber es ist nicht nur die Entschleunigung beim Schreiben mit der Hand, die das Schreiben eines Briefes so besonders macht. Mit der Hand schreiben lässt uns auch selbstwirksam fühlen. Selbstwirksamkeit ist eine wichtige Grundhaltung, um erfolgreich durchs Leben gehen zu können: Wir wissen, wir haben den Stift, wir haben unser Leben selbst in der Hand und gestalten etwas physisch Greifbares.

Briefeschreiber*innen genießen die Konzentration – es gibt keine Pop-ups und Benachrichtigungen, die uns ablenken. Wir denken unsere Gedanken fertig, ohne schnell zwischendurch mal zu googeln. Wir versenken uns für die Dauer des Briefes in die Kommunikation mit einer Person und genießen die Tiefe der Konversation. Eine gute Übung, die immer kürzer werdende Aufmerksamkeitsspanne wieder zu dehnen.

Ein Brief braucht mehr Sorgfalt, allein schon weil wir uns um ein leserliches Schriftbild bemühen. Und es dauert, bis wir Antwort bekommen. Es gibt keine Schnellschüsse und Instant-Antworten. Wir können uns also auf Antwort freuen, Ungeduld oder Sehnsucht spüren – und dann die Freude, wenn da ein handschriftlicher Brief im Briefkasten liegt.

Keep on writing!

Johanna Vedral

 

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