Briefe Johanna Vedral

„Meine Werke sind Liebesbriefe. Das Begehren, das Sehnen nach einer Nähe zu anderen Menschen prägt mich in meinem Werk“, sagt der Künstler Günther Uecker, der besonders für seine Nagelfelder bekannt ist. Wenn er sieht, wie die Menschen seine Bilder betrachten, „dann lese ich in ihren Gesichtern, was Kunst bewirken kann. Das beglückt mich sehr.“

Jeder Text kann auch als Brief verstanden, ja sogar bewusst als Brief geschrieben werden.

Ist es ein Brief an mich selbst, im Tagebuch, in einem Kuvert an mich versandt oder auf Notizzetteln? „Ich schreibe ständig Briefe an meine rechte Gehirnhälfte. Nur kurze Notizen. Und die rechte Hälfte, die sich immer über kleine Botschaften freut, meldet sich ein, zwei Tage später.“ (Sue Grafton)

Oder ist dein Text ist als Brief an einen wichtigen Menschen, an einen bestimmten Leser gerichtet? Es kann ein Brief an die verstorbene Großmutter, ein Brief an den Vater, an die beste Freundin, an den Geliebten oder die Enkelin sein…

Oder es ist ein Brief an eine Gruppe von Menschen, mit denen du durch gemeinsame Interessen verbunden bist, ein Brief an den „Clan“ sozusagen. Dies kann in einem Blog wie diesem stattfinden oder in einem Artikel für die LeserInnen einer Zeitschrift oder in einem Fachbuch für eine Diskursgemeinschaft oder eine Interessensgemeinschaft.

Oder es ist ein Brief an die ganze Welt, ein Roman, ein Text, der sehr, sehr viele Menschen auf einer zutiefst menschlichen Ebene anspricht, ihnen sozusagen aus der Seele spricht…

Ich glaube, dass das nicht so leicht bewusst zu bewerkstelligen ist, die ganze Welt mit einem Text anzusprechen. In welcher Rolle stehe ich hier? Wie fühle ich mich der ganzen Welt gegenüber? Wie spreche ich die ganze Welt an? Welches Gesicht hat sie? Welcher Tonfall, welche Stimme passt für einen Brief an alle?

Versuche es lieber mit einer bestimmten Person oder einer Gruppe. Überlege dir: An wen richtest du deinen Text? An wen schreibst du deinen Brief? Schreib zwei, drei Versionen deines Briefes. Probiere aus, wie sich dein Text verändert, wenn du ihn an deine Schwester oder eine geschätzte ältere Person oder ein Hörsaalpublikum oder „die ganze Welt“ richtest.

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